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Der gute Amerikaner

Das ist Nick Goldschmidt.
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Der Captain macht Urlaub in Miami und trinkt Wein, der ihm richtig schmeckt. Das ist zunächst gar nicht so einfach. Miniserie Teil 1.
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Es ist warm aber nicht zu heiß. Die Wellen schäumen, das Wasser schimmert türkisblau. Unser Beachhotel hat eine Weinkarte, die mich nicht interessiert. Viele Positionen aus französischen Großkellereien zu völlig übertriebenen Preisen, die üblichen Kalifornien-Blockbuster und ein paar langweilige Italiener, wohlbekannt aus der gleichgebürsteten Gastronomie auf der ganzen Welt. Nur der einfache Haus-Rosé von der Westküste überrascht und schmeckt gar nicht so schlecht. Aber ist Rosé wirklich Wein? Der Captain sagt nein und weiß, dass er damit einige irritiert.

Wir sitzen in den USA und wollen tolle Weine trinken. Was macht man in so einem Fall?

Man begibt sich auf die Suche nach dem guten Amerikaner. Einem Amerikaner, der Spaß macht. Einem Amerikaner, der mich in Gedanken nicht sofort in die Wellen zurücklaufen lässt, um einen kräftigen Schluck Salz zu spüren.

Manchmal scheint mir, die US-Weinszene, und damit ist vornehmlich Kalifornien gemeint, hat den Anschluss an das alte Europa völlig verloren. Das Europa der Weinmoderne. Das denke ich in Deutschland, wenn ich aus Neugierde zu einer Flasche aus Trumpistan greife. Zu dick, zu platt, zu viel Schmelz und immer diese nervige Süße.

Das ist natürlich hochsubjektiv und ein Allgemeinplatz. Wahrscheinlich würde ich es anders sehen, wenn ich mich jemals bemüht hätte, das andere Amerika zu suchen. Falls es das wirklich gibt. Da bin ich typisch Konsument. Ich koste, was ins Glas kommt und bilde mir ein Urteil. Im normalen Leben sollte Weintrinken nicht in Arbeit ausarten.

Wir also auf Gugel-Mäps nachgeschaut, dann die alte Uber-App reaktiviert (im gründerfeindlichen Lobby-Deutschland ja leider nutzlos) und runter nach South Beach in die bürgerlichen Wohnviertel, wo es eine vielversprechende Adresse gibt.

Die Vinothek dort ist noch kleiner als ihre Website. Aber die Lady hinterm Tresen versteht sofort. Mit zwei 6er-Kartons unter den Armen geht’s zurück ins Hotel und durch den Pool-Eingang rauf in die Suite des Captain. Man will sich ja nicht in unnötige Diskussionen mit dem Personal verwickeln lassen.

Um es kurz zu machen, ein Teil der Beute war die Mühe (und das Geld) absolut wert, die dritte Flasche, ein Merlot, von dem ich gleich erzähle, der erste Volltreffer. Weitere Besprechungen werden folgen, sofern es die Urlaubsmuse zulässt.

Ausgerechnet Merlot. Diese angepasste, mollige Rebsorte, die so selten Freude macht und ein unwürdiges Dasein als Pizzeriawein fristet. Jeder Winzer, der es mit reinsortigem Merlot schafft, meine Augenbrauen um drei Millimeter zu heben, ist ein Held.

So wie Nick Goldschmidt.

Der gebürtige Neuseeländer und studierte Landwirtschaftsingenieur ging 1989 in die USA, um die Stelle eines Winemakers anzutreten.

Nach einer Zwischenstation in Chile wurde er endgültig in Kalifornien sesshaft und arbeitete für die Simi Winery, die sich damals noch im Besitz des Luxuskonzerns LVMH befand. Nicks Talent sprach sich schnell herum und die Firma setzte ihn weltweit ein. Unter anderem auch, um der Marke Cloudy Bay auf die Sprünge zu helfen.

Cloudy Bay – wie schmeckt der Klassiker heute?

Schon während dieser Zeit spielte er mit dem Gedanken sein eigener Herr zu sein und gründete eigene Weinlabels.

Simi wurde an den Getränke-Giganten Constellation verkauft und Nick verschlug es zu Allied-Domecq, das nächste Dickschiff. Es ist wahrscheinlich wie in der Autobranche. Wenn du einen ordentlichen Wagen entwickelt hast, kannst du von VW zu Opel gehen, dann zu Toyota und danach zu Mercedes wechseln.

Drei Jahre später wurde Domecq an Jim Beam verscherbelt und Nick war das Herumziehen endlich leid. 2008 gründete er die Goldschmidt Winery in Healdsburg/ Sonoma County und (noch interessanter) das Bio-Weinprojekt Trig Point mit Parzellen im kesselartigen Alexander Valley.

Nur selten dringen die feuchten Nebel des pazifischen Ozeans herein, es wird wärmer als im restlichen County. Hier ist karges Rotweinland, bestockt mit Cabernet Sauvignon, dem wuchtigen kalifornischen Zinfandel und natürlich Merlot. Im Talgrund bestimmt Lehm den Boden, an den Hängen bedeckt viel Kies das vulkanische Gestein.

Um sich finanziell abzusichern blieb Nick Goldschmidt freier Berater und berät heute 16 Weingüter in 6 verschiedenen Ländern.

Der Mann muss also etwas Ahnung haben.

Genau das denke ich mir, als ich mir in unserem Zimmer Nicks Diamond Dust Vineyard Merlot einschenke.

Schade, dass ich meine Verkostungsgläser von Zwiesel nicht dabeihabe, aber mit den eigenen Gläsern um die Welt reisen – das wäre wirklich der Gipfel der Dekadenz.

Draußen dämmert es prachtvoll. Im TV läuft Fox News, wohliger Schauer rieselt mir den Rücken hinab.

Tief ziehe ich mir den Duft aus der dunklen Suppe rein. Sakrament, da ist ja ein vollbelegter Kuhstall in Oberbayern! Gottseidank ist der ganz schnell wieder weg.

Ich rieche Brombeere, den matt glänzenden Schokoguss einer Sachertorte, etwas Mädchenschweiss im Fitnesstudio, also nicht so beißend, Orangenschale, Sauerkirschkompott, kalte Zigarettenasche.

Ja, der hat ein komplexes Bouquet. Dann der erste Schluck.

Im Mund tolle Beerensaftigkeit und Würze, nicht zu wenig und nicht zu viele Tannine, einfach perfekt.

Was für eine Überraschung. Auf der Zunge Pflaume, Brombeere, ein Hauch eleganter Süße. Die Säure fügt sich wie ein Legostein zwischen Frucht und Gerbstoffe ein. Beim zweiten Schluck Granatapfel, Earl Grey-Tee, etwas Minze.

Für mich wirkt diese sinnliche Eleganz gänzlich unkalifornisch. Aber – wie bereits erwähnt – so richtig habe ich mich mit diesem Anbaugebiet noch gar nicht beschäftigt, sondern diese Aufgabe ganz kollegial an die anderen Weintester deligiert. Man muss ja nicht alles bis in den hintersten Winkel durchdringen.

Ein letzter Schluck. Ich rolle ihn von links nach rechts und von hinten nach vorn. Ein herrlicher Merlot, wie ich ihn schon lange nicht mehr am Gaumen hatte. Zum letzten Mal, falls ich mich richtig erinnere, war es ein Tropfen aus dem Pomerol, der klassischen Hochburg dieser Rebsorte. Ich schlucke und genieße den langen Nachhall von Kräuterlikör und wieder Earl Grey.

 

Datum: 10.3.2018